Das Ziegenproblem
von Max Himsel, ehemals JBG.

Der Streit um das Ziegenproblem

nach Gero von Randow, "Das Ziegenproblem. Denken in Wahrscheinlichkeiten.",
erschienen bei Rowohlt 1992, ISBN 3-499-19337-X, 176 Seiten,
aufgeschrieben von Max Himsel, ehemals JBG.

Die Geschichte

Der Ursprung

Gero von Randow schreibt:
Das ist vielleicht ein Gefühl, in Hunderten von Briefen als Spinner oder Dummkopf beschimpft zu werden! Dabei hatte alles so harmlos angefangen.
An einem Samstag im Sommer saß ich abends spät im Garten, entkorkte eine Flasche und schlug den Skeptical Inquirer auf, mein Lieblingsblatt aus den USA: Wissenschaftler und Journalisten gehen darin den Behauptungen von Tischrückern, Gabelbiegern, Geistersehern und anderen Scharlatanen nach. Mich interessierte ein Artikel über die amerikanische Journalistin Marilyn vos Savant. Sie gilt als der Mensch mit dem höchsten Intelligenzquotienten der Welt, was immer das bedeuten mag.
Mit der Lösung einer Denksportaufgabe in ihrer Kolumne «Fragen Sie Marilyn» hatte sie eine Lawine hämischer bis empörter Leserbriefe losgetreten. Die Lösung, vorgestellt in der Zeitschrift Parade, widersprach nämlich der Intuition ihrer Leserschaft, darunter viele Mathematiker.

Die Aufgabe

Gero von Randow schreibt:
Ein Leser hatte folgende Aufgabe gestellt:
Sie nehmen an einer Spielshow im Fernsehen teil, bei der Sie eine von drei verschlossenen Türen auswählen sollen. Hinter einer Tür wartet der Preis, ein Auto, hinter den beiden anderen stehen Ziegen. Sie zeigen auf eine Tür, sagen wir Nummer eins. Sie bleibt vorerst geschlossen. Der Moderator weiß, hinter welcher Tür sich das Auto befindet; mit den Worten «Ich zeige Ihnen mal was» öffnet er eine andere Tür, zum Beispiel Nummer drei, und eine meckernde Ziege schaut ins Publikum. Er fragt: «Bleiben Sie bei Nummer eins, oder wählen Sie Nummer zwei?»

Zwei Türen, hinter einer steckt der Gewinn. Also bleibt es sich gleich, welche gewählt wird, nicht wahr? Falsch, sagt die IQ-Weltmeisterin, Nummer zwei hat bessere Chancen.

Da war es: das Ziegenproblem.

Die Reaktion

Gero von Randow schreibt:
Das konnte ich nicht für mich behalten (Berufskrankheit). Ich setzte mich also hin (am Sonntagmorgen) und schrieb einen kleinen Artikel für die Zeit, in dem ich das Ziegenproblem und dessen Lösung präsentierte. Am nächsten Tag fuhr ich in Urlaub. Und so begrüßten mich die Leser-Zuschriften, als ich zurückkam: Der verehrte Herr von Randow sei «wohl ins Sommerloch gestolpert», «jeder normalbegabte Zwölftkläßler» könne schließlich begreifen, daß Frau Savants Rat «typische Laienfehler» enthalte, «haarsträubender Unsinn», «Quatsch» und «Nonsens», «absurd» und «abstrus» sei. Es sei «traurig, daß die Zeit so etwas überhaupt aufgreift». Die ganze Angelegenheit sei «peinlich», urteilte ein Mathematiker. Bestenfalls ein «Aprilscherz im Juli», schrieb ein Leser mitleidig, eher ein «Ärgernis», meinte ein anderer. Die alles dies zu Papier brachten, waren zum großen Teil Akademiker, einige mit einschlägiger Ausbildung in Statistik: Prof. Dr.-ing., Dr.sc.math., Dr. med., Dr.jur. usw. usf. Sie schrieben auf Institutsbriefbögen, legten seitenlange Beweise bei, es kam sogar Post aus den Niederlanden, aus Italien, aus Togo. Zustimmende Briefe blieben rar. Die Leserbrief-Redaktion wählte drei Briefe aus, die mich kritisierten, und ließ sie unter der Überschrift «Verquere Logik» drucken. Das mochte ich nicht auf mir sitzen lassen und schrieb einen zweiten Artikel. Wieder nahm ich für Frau Savant Partei - und entfachte den zweiten Sturm. Mittlerweile hatte der Spiegel dieGeschichte aufgegriffen, gab ebenfalls Frau Savant recht und bescherte sich die entsprechende Leserpost.
Das Ziegenproblem hielt offenbar viele Menschen in Atem. Feten platzten, und Ehepaare stritten sich. Professoren setzten ihre Assistenten an das Ziegenproblem, Mathe-Lehrer verwirrten ihre Schüler, Zeitungsredakteure erklärten sich gegenseitig für begriffsstutzig.

Die Lösung

Ausprobieren

Zum Nachspielen der Situation brauchst du keine Ziegen und erst recht kein Auto. Es genügen drei Spielkarten (z.B. 7, 7, Ass) und ein Spielleiter.
Du kannst auch online spielen!
Teste in einer Versuchsreihe (mind. 30 Versuche), ob eine der beiden Strategien (wechseln/nicht wechseln) besser ist.

Eine Abwandlung des Spiels

Die gleiche Situation, nur anstatt drei verschlossenen Türen gibt es 100. Hinter 99 sind Ziegen, hinter einer das Auto.
Eine Tür wird ausgewählt, danach öffnet der Moderator 98 Türen hinter denen Ziegen stehen.
Würdest du umwählen? Warum?
Wo sind die Parallelen zum ursprünglichen Problem? Welche Gedanken kann man übertragen?

Alle möglichen Fälle betrachten

Probiere einfach alle möglichen Fälle durch. Nimm dabei an, dass der Kandidat immer zuerst die linke Tür wählt.
Unterscheide nun die Fälle:
  • Das Auto ist links
  • Das Auto ist in der Mitte
  • Das Auto ist rechts

Wahrscheinlichkeitsbetrachtung

Die Wahrscheinlichkeit, schon beim ersten Tipp das richtige Tor zu wählen ist 1/3. Somit ist die Wahrscheinlichkeit für die beiden anderen zusammen 2/3.
Ändert sich durch Öffnen eines Tores etwas an dieser Verteilung?
Bezieht sich die Information, die der Spielleiter durch Öffnen des einen Tores gibt, auf alle drei Tore, oder nur auf die beiden nichtgetippten Tore?
Für eines der nichtgetippten Tore ist die Wahrscheinlichkeit durch Öffnen jetzt null. Was bedeutet das für die Wahrscheinlichkeit des anderen Tores?

Einwände

Wenn du wie Frau Savant der Meinung bist, dass der, der umwählt bessere Chancen hat, dann widerlege folgende Einwände:
  • Wenn ich das starke Gefühl habe - und das täuscht selten - , dass das Auto hinter "meiner" Tür ist, warum sollte ich dann dem Rat folgen und umwählen? Denn wenn mein Gefühl dann doch Recht hat, würde ich mich fürchterlich ärgern!
    [Tipp: Erst denken/fühlen, dann wählen!]
  • Zwei Kandidaten A und B wählen: A wählt 1, B wählt 2, Spielleiter öffnet 3. Wieso sollte wechseln (für beide) jetzt günstiger sein?
  • Nach dem Öffnen der Tür kann sich ein Kandidat nicht entscheiden, traut auch Frau Savant nicht recht. Deshalb wirft er die Münze, um zu entscheiden welche Tür er wählen soll. Der Wurf entscheidet also zwischen den Varianten wechseln und nicht wechseln. Der Kandidat gewinnt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50%. Deshalb sind beide Varianten gleichwahrscheinlich.
  • Der Kandidat wählt die Tür 1. Nun gibt es vier Fälle:
Fall Auto hinter
Tür Nr.
M öffnet
Tür Nr.
Richtige Strategie
(i) 1 2 Nicht wechseln
(ii) 1 3 Nicht wechseln
(iii) 2 2 Wechseln
(iv) 3 2 Wechseln

Also stehen die Chancen fifty-fifty!
Links zu diesem Thema gibt es unzählige. Hier nur drei:
  • Als Einstieg ist der "exzellente" Artikel von Wikipedia mit weiteren Links sehr gut geeignet.
  • Der Beitrag von Robert Koch enthält interessante Varianten und eine Verallgemeinerung.
  • Auf der Seite von mister mueller gibt es eine ausführliche Lösung.