Das Ziegenproblem
|
Das ist vielleicht ein Gefühl, in Hunderten von Briefen als Spinner oder Dummkopf beschimpft zu werden! Dabei hatte alles so harmlos angefangen. An einem Samstag im Sommer saß ich abends spät im Garten, entkorkte eine Flasche und schlug den Skeptical Inquirer auf, mein Lieblingsblatt aus den USA: Wissenschaftler und Journalisten gehen darin den Behauptungen von Tischrückern, Gabelbiegern, Geistersehern und anderen Scharlatanen nach. Mich interessierte ein Artikel über die amerikanische Journalistin Marilyn vos Savant. Sie gilt als der Mensch mit dem höchsten Intelligenzquotienten der Welt, was immer das bedeuten mag. Mit der Lösung einer Denksportaufgabe in ihrer Kolumne «Fragen Sie Marilyn» hatte sie eine Lawine hämischer bis empörter Leserbriefe losgetreten. Die Lösung, vorgestellt in der Zeitschrift Parade, widersprach nämlich der Intuition ihrer Leserschaft, darunter viele Mathematiker. |
Ein Leser hatte folgende Aufgabe gestellt: Sie nehmen an einer Spielshow im Fernsehen teil, bei der Sie eine von drei verschlossenen Türen auswählen sollen. Hinter einer Tür wartet der Preis, ein Auto, hinter den beiden anderen stehen Ziegen. Sie zeigen auf eine Tür, sagen wir Nummer eins. Sie bleibt vorerst geschlossen. Der Moderator weiß, hinter welcher Tür sich das Auto befindet; mit den Worten «Ich zeige Ihnen mal was» öffnet er eine andere Tür, zum Beispiel Nummer drei, und eine meckernde Ziege schaut ins Publikum. Er fragt: «Bleiben Sie bei Nummer eins, oder wählen Sie Nummer zwei?» Zwei Türen, hinter einer steckt der Gewinn. Also bleibt es sich gleich, welche gewählt wird, nicht wahr? Falsch, sagt die IQ-Weltmeisterin, Nummer zwei hat bessere Chancen. Da war es: das Ziegenproblem. |
Das konnte ich nicht für mich behalten (Berufskrankheit). Ich setzte mich also hin (am Sonntagmorgen) und schrieb einen kleinen Artikel für die Zeit, in dem ich das Ziegenproblem und dessen Lösung präsentierte. Am nächsten Tag fuhr ich in Urlaub. Und so begrüßten mich die Leser-Zuschriften, als ich zurückkam: Der verehrte Herr von Randow sei «wohl ins Sommerloch gestolpert», «jeder normalbegabte Zwölftkläßler» könne schließlich begreifen, daß Frau Savants Rat «typische Laienfehler» enthalte, «haarsträubender Unsinn», «Quatsch» und «Nonsens», «absurd» und «abstrus» sei. Es sei «traurig, daß die Zeit so etwas überhaupt aufgreift». Die ganze Angelegenheit sei «peinlich», urteilte ein Mathematiker. Bestenfalls ein «Aprilscherz im Juli», schrieb ein Leser mitleidig, eher ein «Ärgernis», meinte ein anderer. Die alles dies zu Papier brachten, waren zum großen Teil Akademiker, einige mit einschlägiger Ausbildung in Statistik: Prof. Dr.-ing., Dr.sc.math., Dr. med., Dr.jur. usw. usf. Sie schrieben auf Institutsbriefbögen, legten seitenlange Beweise bei, es kam sogar Post aus den Niederlanden, aus Italien, aus Togo. Zustimmende Briefe blieben rar. Die Leserbrief-Redaktion wählte drei Briefe aus, die mich kritisierten, und ließ sie unter der Überschrift «Verquere Logik» drucken. Das mochte ich nicht auf mir sitzen lassen und schrieb einen zweiten Artikel. Wieder nahm ich für Frau Savant Partei - und entfachte den zweiten Sturm. Mittlerweile hatte der Spiegel dieGeschichte aufgegriffen, gab ebenfalls Frau Savant recht und bescherte sich die entsprechende Leserpost. Das Ziegenproblem hielt offenbar viele Menschen in Atem. Feten platzten, und Ehepaare stritten sich. Professoren setzten ihre Assistenten an das Ziegenproblem, Mathe-Lehrer verwirrten ihre Schüler, Zeitungsredakteure erklärten sich gegenseitig für begriffsstutzig. |
Fall | Auto hinter Tür Nr. |
M öffnet Tür Nr. |
Richtige Strategie |
(i) | 1 | 2 | Nicht wechseln |
(ii) | 1 | 3 | Nicht wechseln |
(iii) | 2 | 2 | Wechseln |
(iv) | 3 | 2 | Wechseln |